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Immer mehr Menschen haben Schwierigkeiten in Beziehungen. Wie wir uns als Erwachsene in Beziehungen verhalten, hat viel mit unseren frühen Bindungserfahrungen zu tun. Wenn es uns schwerfällt, erfüllende Beziehungen zu führen, liegt dem oft ein Bindungstrauma zugrunde. Bindungsmuster können sich aber nicht nur in Partnerschaften zeigen. Oft wirken sie auch in Freundschaften oder Arbeitszusammenhängen. 

Bindungstrauma beeinflusst unsere Fähigkeit zur Selbstregulation. Ob wir uns eher zurückziehen oder den Kontakt mit anderen Menschen suchen, wenn wir unter Stress geraten, hängt maßgeblich von unseren frühen Bindungserfahrungen ab. Wie dieses Verhalten geprägt wird und wie es möglich ist, deine Erfahrungen in Beziehungen zu verbessern, erfährst du in diesem Beitrag.

Bindung ist überlebenswichtig

Allein können Babys und Kleinkinder nicht überleben. Das Gefühl, geliebt zu werden und zugehörig zu sein, ist für sie daher überlebenswichtig. John Bowlby, dem Urvater der Bindungsforschung zufolge, verfügen menschliche Säuglinge über ein angeborenes Verhalten, das sie dazu bringt, sich an ihre Bezugspersonen zu binden.

Wenn die Umgebung Sicherheit und Halt gibt und die Eltern sich liebevoll auf das Kind einstimmen, kann es Vertrauen in sich und die Welt entwickeln.

Bindung, Co-Regulation und Vertrauen

Die Beruhigung durch liebevolle, eingestimmte Bezugspersonen, auch Co-Regulation genannt, ist überlebensnotwendig für Babys und Kleinkinder. Nicht nur, um von Stress, Wut und Ärger wieder herunterzufahren, sondern auch, um zu lernen, mit starken Emotionen wie Freude und Glück umzugehen. Denn diese gehen gleichermaßen mit hoher Erregung im Nervensystem einher.

Im eingestimmten Kontakt stimuliert die Bezugsperson spielerisch das Kind in Richtung Freude oder Nervenkitzel – und beruhigt es dann wieder. Auf diese Weise lernt das Kind, mit emotionaler Ladung umzugehen und sich selbst zu regulieren. Je besser dies gelingt, desto gelassener ist der Umgang mit Emotionen auch später im Leben. Und desto größer das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten – und in die Welt.

Viele Menschen mit Bindungstrauma haben jedoch Schwierigkeiten mit starken Emotionen, nicht nur mit Wut, Angst oder Trauer, sondern oft auch mit Freude und Glück. Sie geraten dadurch schneller in Angst und versuchen, die angstvollen Situationen zu vermeiden. Dies wirkt sich dann auch auf ihre Beziehungen aus.

Bindungstrauma und Entwicklungstrauma gehören zusammen

Nicht immer sind die Bedingungen für eine ausreichend sichere und nährende Umgebung gegeben. Wenn die Einstimmung durch liebevolle Eltern oder Bezugspersonen (Co-Regulation) nicht ausreichend vorhanden ist, können wir die Fähigkeit zur Selbstregulation nicht optimal entwickeln.

Gewalt oder Missbrauch in der Familie, eine depressive oder narzisstische Mutter (oder primäre Bezugsperson) machen ein Bindungstrauma mehr als wahrscheinlich. Aber es muss nicht unbedingt etwas Schreckliches geschehen. Oft sind es viele scheinbar kleine Situationen, die immer wieder die Verbindung unterbrechen. 

Wenn Eltern z.B. das Kind allein lassen, viel Angst haben oder überlastet sind, können sie sich auch nicht ausreichend einstimmen, obwohl sie grundsätzlich Liebe für ihr Kind empfinden. Dennoch kommt beim Kind die Botschaft an: Ich bin nicht wichtig, ich bin nicht wert. 

Das Kind muss mit dieser Situation irgendwie zurechtkommen.
Es glaubt entweder, es muss alles allein machen und kappt die Verbindung zur Umgebung und oft auch zum eigenen Körper. Oder es scannt die Umgebung ständig nach Zuwendung oder Gefahr – und verliert darüber die Verbindung zu sich selbst.

Jede dieser Strategien ist dazu da, möglichst viel Zuwendung von den Bezugspersonen zu bekommen und sich – so gut es geht – unter den gegebenen Umständen zu entwickeln.
Mehr über Entwicklungstrauma erfährst Du in einem eigenen Beitrag.

Bindung bedeutet Anpassung

Um sich zugehörig und geliebt zu fühlen, passen sich Säuglinge und Kleinkinder an die Umgebung an, die sie vorfinden – egal, wie sie beschaffen ist. Damit sie so viel Zuwendung wie möglich von ihren Bezugspersonen bekommen, passen sie sich genau an deren Eigenarten – und Befindlichkeiten an. 

Das Kind versucht durch seine Anpassung immer, das Beste aus der Situation zu machen. Daher finde ich den Fachbegriff der Bindungsstörung in diesem Zusammenhang irreführend. Denn Anpassung ist für das Kind die bestmögliche Überlebensstrategie – an eine gestörte oder zumindest störanfällige Umgebung.

Wir lernen also in der frühen Kindheit, wie Beziehung funktioniert und was wir tun müssen, um die Zuwendung unserer Eltern oder Bezugspersonen zu erhalten. Wie wertvoll wir sind, ermessen wir daran, wie viel echte Zuwendung wir bekommen, also wie gut unsere Bedürfnisse erfüllt werden.

Sichere Eltern, sichere Bindung

Die beste Voraussetzung für eine gelungene, also sichere Bindung ist eine ausreichend sichere Umgebung. Wenn die Eltern ausgeglichen und präsent sind, wenn es keine länger anhaltenden Krisen oder Sorgen gibt, können sie dem Kind genug Liebe und Zuwendung schenken. Es entwickelt dann Vertrauen in die Welt und in seine eigene Kraft.

Als Erwachsener kann es später seine Emotionen gut regulieren, sich selbst beruhigen und damit auch gelassen bleiben, wenn seine Bedürfnisse nicht sofort erfüllt werden.

Leider haben viele von uns andere Erfahrungen gemacht.

Bindungstrauma als gesellschaftliches Phänomen

Bindungstrauma ist nicht nur ein individuelles Phänomen, sondern hat auch eine gesellschaftliche Dimension. 

Viele Eltern sind in einer Zeit aufgewachsen, in das heutige Wissen um die frühkindliche Entwicklung noch nicht bekannt war. Sie leiden oft selbst unter Bindungsverletzungen und haben diese an ihre Kinder weitergegeben. Und die wiederum an ihre Kinder … 

Es gibt immer mehr Scheidungen, die Konsistenz der Beziehungen nimmt ab. Kinder werden immer früher in die Tagesbetreuung gegeben. Darunter leidet letztendlich die Bindung – und damit das Urvertrauen und die Resilienz der nachfolgenden Generation. 

Bindungstrauma in erwachsenen Beziehungen

Am stärksten zeigen sich frühe Bindungsstile später in Partnerschaften. Aber auch in Freundschaften oder in Arbeitszusammenhängen können sie wirksam sein, nur eben nicht so intensiv.
Was wir an frühen Bindungsmustern gelernt haben, wiederholen wir später in unseren Beziehungen.

Doch was die perfekte Anpassung an unsere frühen Bindungspersonen war und damals unser Überleben gesichert hat, bringt uns später in einer Partnerschaft oder Freundschaft nicht unbedingt Erfüllung.

Die vermeintliche Sicherheit des Vertrauten

Häufig suchen wir uns Partner, die unseren Eltern ähnlich sind – auch deshalb, weil es vertraut und damit zumindest einigermaßen sicher zu sein scheint. Und wir hoffen, dass wir heute eine andere, bessere Erfahrung machen können als damals – und damit doch noch die Liebe unserer Eltern bekommen können. Unser Gegenüber hat sich also geändert, unser Verhaltensmuster nicht. Wieder einmal bleiben wir unerfüllt – bis wir andere Verhaltensweisen entwickeln.

Kein wohlwollendes Gegenüber

Wenn Du zum Beispiel als Kind wenig beachtet worden bist, oft allein gelassen wurdest oder Deine Eltern einfach keine Emotionen gezeigt haben, hast Du vielleicht gelernt, Dich unsichtbar zu machen, „pflegeleicht“ zu werden. Damals war es besser, nicht aufzufallen und möglichst angepasst zu sein, um vielleicht doch noch ein Minimum an Aufmerksamkeit zu bekommen. 

In Deiner heutigen Partnerschaft kann es also sein, dass Du Dich oft zurückziehst, wegbeamst oder nicht sagen oder fühlen kannst, was Du brauchst. Damit bist Du für Deinen Partner kein präsentes Gegenüber, und ihr kommt nicht wirklich in Verbindung. Dann wiederholt sich das Gefühl der tiefen Einsamkeit, das in der Kindheit auch schon da war.

Deine Liebe ist mir nicht sicher

Vielleicht gab es in Deiner Kindheit plötzliche Abbrüche von Verbindung, z.B. durch Krankenhausaufenthalte. Oder Deine Eltern waren sehr ängstlich oder überbehütend

Dann kann es sein, dass Du Verlustängste entwickelt hast und Dich immer wieder rückversichern musst, ob Dein Partner noch bei Dir ist. Eine Weile mag das gut gehen. Doch wenn Dein Gegenüber sich vereinnahmt fühlt und Raum für sich beansprucht, kann es sein, dass Du Dich plötzlich zurückgewiesen fühlst. Damit wiederholt sich dann Deine ursprüngliche Erfahrung.

Oder Du gibst sehr viel, um Zuwendung zu bekommen und wunderst Dich, warum Dein Partner sich nicht darüber freut, weil er Deine Absicht dahinter spürt. Vielleicht bist Du auch manchmal da, manchmal nicht, gehst also nicht in tiefen, nährenden Kontakt. Und damit bleibst Du in einem Gefühl tiefer unerfüllter Sehnsucht.

Wenn Liebe und Gefahr zusammenkommen

Wenn es Gewalt oder Sucht in der Familie gibt, wenn Elternteile selbst traumatisiert sind oder große Stimmungsschwankungen haben, ist das Zuhause, das Zuflucht geben sollte, gleichzeitig der Ort der größten Gefahr. Das kann eine Menge innerer Verwirrung auslösen. Denn wann immer wir in Nähe gehen, wittern wir gleichzeitig Gefahr und gehen in den Überlebensmodus.

Diese Kopplung macht es schwer, Nähe zuzulassen oder in Beziehungen klare Grenzen zu setzen. So finden sich viele Menschen später allein wieder oder geraten immer wieder in toxische Beziehungen.

Bindungsmuster können sich durchgängig zeigen, müssen es aber nicht. Es kann sein, dass ein Bindungsstil nur in bestimmten Situationen, z.B. bei bestimmten Triggern, auftritt und die Person ansonsten sicher gebunden ist. Oder dass sich unterschiedliche Verhaltensweisen im Kontakt mit unterschiedlichen Personen zeigen.

Bindung und unser Blick in die Welt

Wir betrachten die Welt durch die Brille unserer frühen Bindungserfahrungen. Ob wir sie als sicheren oder bedrohlichen Ort empfinden, bestimmt auch unser Verhalten als Erwachsene. 

Wenn wir mit dem Blick von Dort und Damals ins Leben im Hier und Jetzt schauen, birgt das auch die Gefahr, dass wir uns so verhalten wie damals. Und immer wieder die gleichen Erfahrungen wiederholen.

Aber das kann sich auch ändern.

Sichere Bindung kann erlernt werden

Wir sind dazu gemacht, uns zu binden und tragen alle die Fähigkeit zur sicheren Bindung in uns. Selbst wenn sie häufig durch widrige Erfahrungen in den frühen Lebensjahren überlagert wurde, wohnt sie doch uns allen inne.

Durch neue, positive Erfahrungen im Kontakt mit anderen Menschen kann unser Bindungsverhalten Stück für Stück sicherer werden. Man spricht dann von erworbener sicherer Bindung.

“We are not capable of healing in isolation. We need other people. We are hurt in relationship and we heal in relationship. Our brain and nervous system are not isolated, but interconnected and social. At our core, we are social beings who regulate through connection with others.“

„Wir sind nicht in der Lage, in Isolation zu heilen. Wir brauchen andere Menschen. Wir werden in Beziehungen verletzt, und wir heilen in Beziehungen. Unser Gehirn und unser Nervensystem sind nicht isoliert, sondern miteinander verbunden und sozial. In unserem Kern sind wir soziale Wesen, die sich durch Verbindung mit anderen regulieren.“

Diane Poole Heller, PhD

Was hilft bei der Heilung von Bindungstrauma?

Weil das Nervensystem immer weiter lernfähig ist, können wir durch neue, gute Bindungserfahrungen unsere Bindungsmuster in Richtung sicherer Bindung verändern. Dabei braucht es für jeden Bindungsstil andere korrigierende Erfahrungen.

Durch ein zugewandtes, aufmerksames Gegenüber lernen wir, uns selbst besser zu regulieren. So entwickeln wir die Fähigkeit, immer mehr unsere Emotionen zu spüren, ohne von ihnen überwältigt zu werden. So kann es gelingen, präsenter für das eigene Empfinden zu werden und Raum für neue Erfahrungen zu schaffen, wenn wir anderen Menschen begegnen.

Wichtig dabei ist auch die Verbindung zu uns selbst. Wenn wir beginnen, uns selbst zu mögen und ein Mitgefühl mit uns zu entwickeln, wird der innere Konflikt kleiner, und es kann Ruhe einkehren. Denn dann gehen wir achtsamer und friedvoller mit uns selbst um als unsere Bezugspersonen es damals konnten.

Heilung von Bindungstrauma geschieht allerdings nicht von heute auf morgen. Der Prozess braucht Zeit, Geduld und Präsenz.

Viele der Erfahrungen und Verhaltensmuster der frühen Jahre sind im impliziten Gedächtnis, also im Körpergedächtnis, abgespeichert und zum Teil nicht über das explizite, bewusste Gedächtnis zugänglich. Daher ist es unabdingbar, den Körper in den therapeutischen Prozess einzubeziehen.

Ich hoffe, ich konnte Dir einige Einblicke in dieses spannende Thema geben. Wenn Du an einer Traumatherapie oder an einer traumasensiblen Prozessbegleitung zum Thema Bindung und Beziehung interessiert bist, kontaktiere mich gerne. Hier kannst Du ein kostenloses Erstgespräch vereinbaren.

Lesetipp

Diane Poole Heller – Sicher gebunden (The Power of attachment)
Stan Tatkin – Wired for Love

Bildnachweis
Mutter und Baby –

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