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Selbstregulation hat viel damit zu tun, wie sehr wir uns in unserem Inneren beheimatet fühlen. Wenn wir gut reguliert sind, können wir Einfluss auf unser Nervensystem nehmen. So sind wir in der Lage, unsere Körperreaktionen, Emotionen, Gedanken und unser Verhalten an die momentane Situation anzupassen. 

Der Grad dieser Anpassungsfähigkeit bestimmt, wie viel Wahlmöglichkeit wir in unserem Handeln spüren. Auch unser Sozialverhalten und damit die Qualität unserer Beziehungen hängen von unserer Fähigkeit zur Selbstregulation ab. Mehr über das komplexe Zusammenspiel kannst Du in diesem Beitrag lesen.

Wie entwickelt sich die Fähigkeit zur Selbstregulation?

Selbstregulation ist eine der grundlegendsten Funktionen des Lebens. Denn unser autonomes Nervensystem reguliert auch viele unserer Körperfunktionen und vor allem unsere Stressresistenz. Damit steht und fällt auch unser Sicherheitsgefühl, unsere Verbindung mit anderen Menschen und unsere Gelassenheit im Angesicht von Anforderungen im Leben.

Selbstregulation lernen wir in den ersten drei Lebensjahren. Entscheidend dafür ist die Qualität unserer frühen Bindungserfahrungen. Je besser die frühen Bezugspersonen sich auf uns einstimmen und uns beruhigen, also co-regulieren können, desto ausgeprägter ist auch später unsere Fähigkeit zur Selbstregulation. 

Wir lernen also am Modell durch Co-Regulation, wie wir uns selbst regulieren können. Die Körperresonanz zur Bezugsperson und deren liebevolle Präsenz spielen dabei eine große Rolle.

In stressigen Situationen hilft der Kontakt mit der Mutter, sich wieder zu regulieren. Vorausgesetzt, sie ist präsent und eingestimmt und kann das Kind beruhigen. Leider ist dies nicht immer der Fall. Mehr zum Thema Bindung und Bindungstrauma erfährst Du in einem eigenen Beitrag.

Woran erkenne ich eine gute Selbstregulation?

Wenn wir uns gut regulieren können, fühlen wir uns wohl in uns selbst und im eigenen Körper zu Hause. Sollte uns doch etwas in Unruhe bringen, bleiben wir handlungsfähig und können „nach getaner Arbeit“  leicht wieder in einen Zustand der Entspannung und heiterer Gelassenheit zurückkehren. 

Wir fühlen uns geborgen und können aus diesem Zustand heraus neugierig in die Welt blicken, sie erforschen und aktiv unser Leben gestalten, wie es uns entspricht. Denn im regulierten Zustand haben wir Zugang zu unserer Freude, Kraft und Kreativität. Auch die Verbindung mit Anderen erleben wir intensiver.

Eine gute Selbstregulation zeichnet sich also durch ein schwingungsfähiges autonomes Nervensystem aus, das immer wieder in den Zustand der Sicherheit und sozialen Unterstützung zurückfindet. Mehr dazu kannst Du in meinem Beitrag über Polyvagaltheorie lesen.

Wenn Selbstregulation nicht gelingt

Wenn wir in den ersten Lebensjahren nicht gelernt haben, uns zu regulieren, lernen wir, mit Stress anders umzugehen. Weil die Empfindungen, die mit Stress einhergehen, oft nicht auszuhalten sind, wollen wir sie unbedingt vermeiden und entwickeln deshalb Kompensationsstrategien, wenn wir uns nicht regulieren können.

Wir lernen also, uns zu ver-halten, bestimmte Dinge zu tun oder bestimmte Dinge nicht zu tun. Damit schränken wir unsere Lebendigkeit ein und verlieren den natürlichen Zugang zu unserer Lebenskraft. Wir funktionieren, um irgendwie den Alltag zu schaffen. Aber auf die Dauer verlieren wir unsere Lebensfreude und Lebenslust.

Die Schwingungsfähigkeit des autonomen Nervensystems bleibt eingeschränkt. Der Stress bleibt im Nervensystem stecken. Wir finden nicht mehr in den ausgedehnten Zustand von Sicherheit zurück und bleiben in der Dysregulation. Statt unser Leben zu gestalten, reagieren wir auf äußere Anforderungen – häufig mit Aktionismus oder Hilflosigkeit.

Wie kann sich Dysregulation zeigen?

Wenn das Nervensystem dysreguliert bleibt, kann sich das über vielfältige Symptome zeigen. Je nachdem, ob wir in der Übererregung oder in der Untererregung sind, zeigt sich ein anderes Spektrum.

Übererregungssymptome

Menschen in der Überregung fühlen sich oft getrieben, Sie spüren innere Unruhe, Ängste oder Panik. Häufig sind sie sehr schreckhaft oder werden von ihren Emotionen überflutet. Manche sind ihren inneren Impulsen regelrecht ausgeliefert und agieren sie ungefiltert aus.

Schlafstörungen, Bluthochdruck und Muskelverspannungen können sich im Körper zeigen. 

Oft erleben Menschen in diesem Zustand verstärkten Bewegungsdrang und motorische Unruhe. Chronische Beschäftigung und Arbeit sind dann häufige Versuche, die Übererregung aus dem Körper zu entladen.

Untererregungssymptome

Menschen in der Untererregung haben oft keinen guten Zugang zum Körper. Sie spüren sich, ihren Körper und ihre Emotionen nicht gut und spalten ab (dissoziieren), was für sie unaushaltbar ist. 

Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Resignation sind Anzeichen für den Kollaps. Häufig zeigen sich auch Depressionen. Während die Übererregung von Hyperaktivität geprägt ist, dominieren im Zustand der Untererregung Vermeidung oder Erstarrung.

Müdigkeit, Migräne, und eine schlaffe Muskulatur sind häufige körperliche Anzeichen für den Zustand der Untererregung. Auch niedriger Blutdruck und schnelles Frieren können auf Erstarrungszustände hinweisen.

Selbsthilfe-Übungen – ein Weg in die Selbstregulation?

In den letzten Jahren sind viele Selbsthilfe-Bücher zum Thema Selbstregulation oder Vagusnerv-Regulation erschienen. Die beiden Begriffe bedeuten dasselbe. Es gibt darin unzählige Übungen, um in einen regulierten Zustand zurückzufinden.

Die Übungen sollen den ventralen Vagus ansprechen. Dieser Zweig des autonomen Nervensystems ist dann in uns aktiv, wenn wir uns sicher fühlen. In diesem Zustand können wir heilen und uns regenerieren. Dann bewegt sich das autonome Nervensystem von der Dysregulation zurück in die Regulation – und damit in einen wach-entspannten Gemütszustand.

Leider ist es aber nicht automatisch so, dass diese Übungen zu mehr Regulation führen. Denn Selbstregulation können wir nicht machen. Sie geschieht von selbst, wenn wir uns sicher fühlen. Wir alle haben eine innere Instanz in uns, die sich immer in Richtung Heilung ausrichtet – wenn wir sie lassen.

Das Empfinden von Sicherheit können wir einladen, indem wir günstige Bedingungen dafür schaffen. Aber wir können es nicht mit Willenskraft generieren. Es geht also nicht darum, mehr zu tun, sondern mehr zu lassen und zu bezeugen, was dann geschieht.

Eine hohe Disziplin bei den Übungen ist also nicht unbedingt zielführend. Wenn wir uns damit unter Druck setzen und die Signale unseres Körpers ignorieren, erschaffen wir eine Atmosphäre der Anspannung und der Unsicherheit. Das Nervensystem bleibt dann im Überlebensmodus und damit in der Dysregulation.

Wie aber kommen wir in ein Gefühl von Sicherheit?

Gute Bedingungen für gefühlte Sicherheit

Wissen und Erkenntnis ersetzen zwar nicht die Erfahrung, können aber den Weg dorthin ebnen. Wenn wir ein Verständnis für uns selbst entwickeln, fällt es uns leichter, Mitgefühl für uns zu entwickeln.

Auch eine gewisse Regelmäßigkeit ist wichtig für den Entwicklungsprozess, denn das Nervensystem lernt durch Erfahrung. Und je mehr gute Erfahrungen wir machen, desto größer wird unser Vertrauen – in andere Menschen und in unsere eigene Kraft.

Zeit und Geduld sind also wichtig für den Weg in die gefühlte Sicherheit. Selbstregulation zu lernen, ist eine Langstrecke, kein Sprint.

Um zu spüren, dass wir hier und jetzt sicher sind, hilft es, auf die Signale des Körpers zu achten und unsere Praxis zwar kontinuierlich, aber auch flexibel zu gestalten.

Resonanz zu spüren, ist sehr wichtig für die Selbstregulation. Der Kontakt nach außen – zu anderen Menschen, Tieren oder der Natur – erfüllt unser instinktives Bedürfnis nach Verbindung und wirkt dadurch regulierend.

Regulation und Bindung

Auch später im Leben, suchen wir die Regulation im Außen, wenn wir uns nicht selbst regulieren können. Wir gehen in Kontakt mit vertrauten Menschen, kuscheln mit unseren Haustieren oder finden Kraft in der Natur oder Stille. Wir versuchen in jedem Fall, Verbindung wieder aufzunehmen.  

Ob wir dabei eher auf andere Menschen als Ressource zurückgreifen oder auf die „menschfreien Bereiche“  der Natur oder der Stille, hängt von unseren frühen Bindungserfahrungen ab. Wer beide Fähigkeiten entwickeln kann, hat die besten Voraussetzungen, sowohl Autonomie als auch Zugehörigkeit zu erleben und damit authentisch zu leben.

Wenn wir das Glück hatten, als Kinder von unseren Eltern gut co-reguliert zu werden, fällt es uns leichter, andere Menschen um Unterstützung zu bitten. Wir rufen Freunde an oder wenden uns an unsere Partner. Wenn wir dort Trost und Zuspruch oder eine Umarmung und Halt bekommen, können wir uns wieder beruhigen. Danach fällt es uns dann auch alleine wieder leichter, gelassen zu bleiben.

Der Schutz der Integrität

Manche Menschen konnten als Kinder leider keine Sicherheit bei ihren Bezugspersonen finden. Vielleicht war niemand für sie da, oder sie wurden beschämt, wenn sie etwas brauchten. Für viele von ihnen ist es unvorstellbar, sich mit der eigenen Not an einen anderen Menschen zu wenden und um Hilfe zu bitten. Oder gar, sich im Arm eines anderen Menschen zu beruhigen. 

Durch den frühen Mangel an Unterstützung vertrauen sie anderen Menschen nicht und glauben, sie müssten alles alleine schaffen. Sie schützen ihre Integrität und Würde durch ein hohes Maß an Autonomie. Und sie vermeiden es, tiefer in Beziehung zu gehen. Sie kapseln sich ab und werden für Eltern oder später für Partner oder Freunde unerreichbar für deren Kontaktangebote. Der Preis dafür ist ein tiefes Gefühl der Einsamkeit, denn es fehlt das Gefühl der Zugehörigkeit.

Wenn die Selbstregulation nicht ausreichend gereift ist und keine Möglichkeit zur Co-Regulation über andere Menschen besteht, suchen wir oft im Außen nach Kompensation, um uns zu beruhigen. Hier nehmen viele Süchte ihren Ursprung.

Der Schutz der Zugehörigkeit

Andere Menschen wiederum haben Co-Regulation bei ihren Eltern erlebt, jedoch nicht konstant. Vielleicht wurde ein Elternteil plötzlich krank oder war länger abwesend. Daraus entwickelt sich eine existenzielle Angst, allein zu sein oder verlassen zu werden.

Um diese Angst nicht zu spüren, stellen sie die Beziehung in der Vordergrund. Sie geben oft zu viel und bleiben zu lange, wenn die Beziehung nicht funktioniert. Damit stellen sie ihre eigenen Bedürfnisse hintenan. Die vermeintliche Zugehörigkeit hat dann einen hohen Preis, denn sie geht zulasten der Integrität.

Wenn die Selbstregulation schwach ist und die Regulation im Wesentlichen durch andere Menschen erfolgen muss, besteht die Gefahr emotionaler Abhängigkeit.

Ausgewogene Regulation – Pendeln zwischen Alleinsein und Verbindung

Eine ausgewogene Regulation beinhaltet beide Aspekte. Ein gutes Verhältnis von Autonomie und Kontakt macht es möglich, wahrhaftig zu leben und sowohl die Zeit mit sich selbst als auch die Zeit mit anderen Menschen zu genießen.

Den jeweils anderen Pol der Regulation können wir auch später im Leben entwickeln.
Menschen, die sich alleine regulieren, können lernen, Kraft aus sicheren Kontakten zu schöpfen. Wer in einer Beziehung zu viel gibt, kann lernen, besser für sich einzustehen.

Wo zwischen diesen beiden Polen verortest Du Dich? Reagierst Du eher mit Rückzug oder Angriff, wenn es Konflikte gibt? Oder versuchst Du, um jeden Preis, den Kontakt aufrechtzuerhalten?

„Gute Selbstregulation ist ein fließendes Gleichgewicht zwischen Kontakt und Alleinsein, zwischen Verbindung mit der Welt und Verbindung mit uns selbst.“

Selbstregulation lernen durch Co-Regulation

Um ein gesundes Gleichgewicht zwischen den beiden Polen Integrität und Kontakt zu erlangen, ist Unterstützung durch andere Menschen wichtig. Ab einem bestimmtem Grad der Dysregulation brauchen wir ein anderes gut reguliertes Nervensystem, mit dem wir in Resonanz gehen und von dem wir lernen können. Das aktiviert und balanciert unser soziales Nervensystem. 

Niemand kann sich ausschließlich alleine regulieren. Wir brauchen einander, um durch den Kontakt mit dem Anderen in uns selbst zu landen.

Insbesondere, wenn wir in frühen Jahren nicht gelernt haben, uns selbst zu regulieren, brauchen wir eine Zeit lang die Co-Regulation durch einen anderen Menschen. Auch um zu lernen, in Gegenwart eines anderen Menschen bei uns zu bleiben, brauchen wir ein gut reguliertes Gegenüber.

Die Verbindung wieder aufnehmen

Wenn wir spüren können, dass ein anderer Mensch uns liebevolle Aufmerksamkeit schenkt, ohne dass wir uns dafür irgendwie verhalten müssen, spüren wir, dass wir gut sind, wie wir sind. 

Dann können wir wieder in uns ankommen und Verbindung mit unserer inneren Kraft aufnehmen. Unser Bindungsinstinkt, der zuvor unterdrückt oder überaktiv war, kann sich so regulieren.

Wenn wir uns in uns selbst zu Hause fühlen, können wir spüren, was wir brauchen und angemessen dafür sorgen, dass wir es bekommen. Durch die bessere Verbindung zum Körper können wir dann innere Erregung und Emotionen spüren, ohne von ihnen überflutet zu werden. Das gibt uns mehr Selbstwirksamkeit und Handlungsspielraum auch in schwierigen Situationen. Dies wirkt sich positiv auf unsere Beziehungen aus. 

Das soziale Nervensystem (der ventrale Vagus) ist dann auch nach innen aktiv, und wir sind mit uns selbst verbunden – und in uns selbst zu Hause.

Ich hoffe, ich konnte Dir einige Einblicke in dieses komplexe Thema geben. Wenn Du beispielsweise in einer traumasensiblen Prozessbegleitung lernen willst, Dich besser zu regulieren und Dich fragst, ob ich Dich ein Stück dabei begleiten darf, vereinbare gerne ein kostenloses telefonisches Erstgespräch.

Bildnachweis
Herzmeditation –

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