Je nachdem, wann und wie eine Traumatisierung entstanden ist, braucht es unterschiedliche Therapieansätze.
Viele Menschen haben langjährige Erfahrungen mit Therapie, Coaching oder Selbsthilfeprogrammen gemacht und scheinen dennoch auf der Stelle zu treten. Das kann damit zu tun haben, viele dieser Methoden bei Menschen mit Traumahintergrund nicht oder nur teilweise greifen.
Vielleicht helfen Dir die folgenden Beschreibungen, besser einzuordnen, was in Dir vorgeht und was Du zu Deiner Heilung brauchst.
Schocktrauma
Die meisten Menschen denken beim Begriff Trauma an ein Schocktrauma. Darunter versteht man ein einmaliges Erlebnis, das plötzlich eintritt.
Dies kann ein schwerer Unfall sein, ein Gewalterlebnis oder eine Naturkatastrophe. Aber auch Operationen, die plötzliche Diagnose einer schweren Erkrankung sowie der plötzliche Verlust eines nahestehenden Menschen oder des Arbeitsplatzes gehören in diese Kategorie.
Sequenzielle Traumatisierung
Wenn ein potenziell traumatisierendes immer wieder auftritt, nennt man das sequenzielle Traumatisierung.
Das kann Mobbing sein oder Stalking, eine toxische Beziehung oder Flucht und Vertreibung. Auch eine chronische Erkrankung und Pflege eines Elternteils oder Geschwisters sowie häusliche Gewalt treten sequenziell, also wiederholt auf.
Die einzelnen Ereignisse müssen nicht extrem belastend sein. Doch die ständige Wiederholung lässt die betroffene Person nicht zur Ruhe kommen. Das bedeutet ständige Alarmbereitschaft vor der nächsten Wiederholung.
Entwicklungstrauma
Eine besondere Art der sequentiellen Traumatisierung in der Kindheit ist das Entwicklungstrauma. Gewalt oder Vernachlässigung in der Familie können die Ursache hierfür sein. Aber auch die chronische Krankheit eines Elternteils oder Geschwisters und andere widrige Umstände wie z.B. häufige Umzüge oder andere Entwurzelungen können sich negativ auf die Entwicklung auswirken.
Ob zu viel vom Bedrohlichen oder zu wenig vom Nährenden: Wenn die Umgebung unsicher ist, kann das Kind in den ersten Lebensjahren keine innere Sicherheit gewinnen. Die Folge ist ein ständiges Gefühl der Überwältigung und permanente Alarmbereitschaft im Körper. Ausführlich behandle ich das Thema Entwicklungstrauma in einem eigenen Beitrag.
Bindungstrauma
Das Bindungstrauma gehört ebenfalls zu den frühen Traumatisierungen. Jedem Menschen hat ein angeborenes, instinktives Bedürfnis nach Kontakt. Dieser Instinkt ist in der Kindheit so stark, dass er oft den eigenen Schutzinstinkt in den Hintergrund stellt – mit fatalen Folgen für die Verbindung zu sich selbst und zu Anderen.
Das ungestillte oder nicht ausreichend erfüllte Bedürfnis nach Kontakt und Einfühlung erschüttert das Urvertrauen des Babys oder Kleinkindes. So kann es im späteren Leben schwerfallen, gesunde und nährende Beziehungen zu führen und mit sich selbst in Kontakt zu sein. Mehr zum Thema Bindungstrauma erfährst Du in einem eigenen Beitrag.
Entwicklungstrauma und Bindungstrauma gehen oft Hand in Hand
Beide Begriffe werden oft synonym verwendet. Durch die fehlende Bindung und Einstimmung in frühen Lebensjahren kommt es zu Beeinträchtigungen in der Entwicklung des Nervensystems. Diese oft schwerwiegenden Folgen wirken bis ins Erwachsenenalter.
Transgenerationales Trauma
„If you don’t transform your pain, you will transmit it.“
Richard Rohr
(Wenn Du Deinen Schmerz nicht transformierst, gibst Du ihn weiter.)
Wenn unverarbeitete Traumatisierungen an die nächste Generation weitergegeben werden, spricht man vom transgenerationalen Trauma. Dies kann sich offen äußern im Erziehungsstil („Ein Klaps hat noch niemandem geschadet.“) oder auch unausgesprochen, indem bestimmte Themen oder Gefühle tabuisiert werden. Diese Tabus sind aber dennoch wirksam. Die Sprachlosigkeit beispielsweise, die in Deutschland durch den Zweiten Weltkrieg entstand, ist in vielen Familien noch deutlich spürbar.
Kollektives Trauma
Wenn eine ganze Gesellschaft ein Trauma erleidet, spricht man von einem kollektiven Trauma. Hier sind Kriege, Flucht und Vertreibung zu nennen, aber auch Leben in totalitären Systemen mit ihren Unterwerfungsstrukturen.
Kollektives Trauma kann das Wertesystem einer Gesellschaft verändern und hat daher auch politische Auswirkungen.
Sekundäre Traumatisierung
Damit ist das Miterleben einer Traumatisierung gemeint. Wer mit ansehen oder anhören muss, wie ein anderer Mensch traumatisiert wird (oder wurde), kann eine sekundäre Traumatisierung erleiden.
Sie tritt häufig auf bei Helfern wie Rettungskräften und Feuerwehrleuten, Therapeuten und Pflegepersonal. Aber auch Zeugen an Unfallstellen können ein Sekundärtrauma erleiden.
Verschiedene Traumata brauchen verschiedene Therapieansätze
Für die meisten Menschen haben Schock- und Entwicklungstrauma die größte Bedeutung.
Ein Mensch, der ein Schocktrauma erlebt hat, braucht andere Unterstützung als ein Mensch mit Entwicklungstrauma.
Wer in relativer Sicherheit aufgewachsen ist, kann auch ein Schocktrauma leichter verarbeiten, da sich die Fähigkeit zur Selbstregulation in den frühen Lebensjahren ausbilden konnte. Die Person kann also auf erlernte Bewältigungsstrategien zugreifen.
Menschen mit Entwicklungstrauma hingegen müssen zunächst lernen, sich zu regulieren, damit sie Sicherheit im Körper überhaupt wahrnehmen können. Sie waren in ihren frühen Lebensjahren stark mit Überleben beschäftigt und konnten daher keine Neugier und kein ausreichendes Empfinden von Sicherheit entwickeln.
Da unser Nervensystem aber jederzeit auf neue Erfahrungen reagiert, ist dieses Lernen – und damit ein Heilungsprozess – immer möglich.
In meiner Praxis habe ich mich auf die Arbeit mit frühem Trauma, also hauptsächlich Entwicklungs- und Bindungstrauma spezialisiert. Wenn Du Interesse an einer traumasensiblen Prozessbegleitung hast, kannst Du gerne ein kostenloses Erstgespräch vereinbaren.
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Pflanze wächst auf Asphalt –