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Selbstfürsorge in Heilberufen – das klingt vielleicht paradox, ist aber eine Notwendigkeit, um auf die Dauer gesund und kraftvoll zu bleiben. Warum das so ist und wie das gelingen kann, erfährst du hier.

Heilberufe haben besondere Anforderungen

Die Arbeit als Heilkundler oder Therapeutin bringt besondere Herausforderungen mit sich.

Zum einen, weil die Menschen, die unsere Unterstützung suchen, in besonderem Maße verletzlich sind.  Sie stehen nicht in ihrer Kraft. Daher sind wir als Behandelnde aufgefordert, einen sicheren Raum für Heilung zu halten. Das können wir aber nur, wenn wir selbst in unserer Kraft stehen.

Auch die äußeren Rahmenbedingungen entsprechen oft nicht dem, was es für gute Arbeit bräuchte. Das erzeugt innere Spannung, und diese zu halten, kostet Kraft. Oft wird diese Diskrepanz dann verdrängt und damit auch nicht mehr wahrgenommen. Bis sich irgendwann Symptome zeigen.

Viele Menschen, die ihre Berufung in einem Heilberuf finden, sind selbst auf die eine oder andere Weise betroffen – und damit ebenfalls verletzlich. Häufig haben Heilkundler, Pflegekräfte und Therapeuten früh gelernt, anderen zu helfen und die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen – als Anpassung an die damaligen Lebensumstände.

Damit sind sie auch später im Leben anfällig dafür, stärker in die Fürsorge zu gehen als in die Selbstfürsorge. Menschen, denen die Rolle des Helfers so vertraut ist, fällt es oft schwerer, sich einzugestehen, dass sie selbst Unterstützung brauchen. Auf die Dauer kostet dieses Ungleichgewicht mehr Kraft, als hereinkommt. Es besteht dann die Gefahr, auszubrennen – oder emotional auszukühlen.

Häufige Krafträuber im Berufsalltag

Es gibt einige Punkte, die in der Arbeit mit Menschen immer wieder auftauchen. Die wichtigsten habe ich hier zusammengefasst:

Erst die Anderen, dann du selbst

Deine Aufmerksamkeit geht zuerst an andere Menschen, und für deine Self-Care bleibt dann oft keine Zeit oder Kraft mehr übrig. 

Anderen Menschen auf Dauer die erste (oder einzige) Priorität einzuräumen, kann dazu führen, dass du am Ende des Tages keine Kraft mehr hast, dich selbst zu pflegen. 

Vielleicht kennst du das: Immer wieder nimmst du dir vor: Heute Abend mache ich Yoga. Und wenn der Tag intensiv war und deine Kräfte zur Neige gehen, bist du zu schlapp und landest doch wieder auf dem Sofa und eben nicht beim Yoga. Dein inneres Faultier hat dann die Führung übernommen. Wahlweise kannst du statt Yoga auch Laufen, Basteln, Singen oder anderes einfügen.

Zu wenig Gestaltungsmöglichkeiten

Du siehst, was deine Patienten oder Klientinnen brauchen, aber es fehlt an Zeit und / oder Mitteln, den einen guten und sicheren Rahmen zu schaffen. Und es kostet dich andauernd Kraft, diese innere Spannung zu halten.

Innerhalb des Gesundheitswesens zu arbeiten, bringt eine grundsätzlich höhere Belastung mit sich. Denn du bist ständig damit beschäftigt, den Mangel an Zeit, Personal und Ressourcen auszugleichen. Gleichzeitig hast du wenig Möglichkeiten, deine Arbeitssituation zu verändern.

Auch der Punkt „äußere Bedingungen“ fließt in deine grundsätzliche Energiebilanz ein. Daher gehört dieser Punkt für mich in diese Kategorie.

Zu wenig Zeit

Du gibst eine Sitzung nach der anderen und arbeitest in einem Setting, das dir weder Pausen noch gute Übergänge zur nächsten Begegnung ermöglicht.

Durchlässige Grenzen

Du hörst dir in der Therapie oder Beratung zu viel an, und es gelingt Dir nicht, gute Grenzen zu setzen. Nachher fühlst du dich dann erschöpft und ausgelaugt. 

Empathie ist ein wichtiges Element in der Begleitung von Menschen in verletzlichen Situationen. Doch mindestens genauso wichtig ist das richtige Maß. 

Über das Erlebte zu reden, kann wichtig sein, damit es gewürdigt und bezeugt wird. Doch genauso kann es Menschen von sich wegbringen, statt zu sich hin. Und es ist wichtig, das zu unterscheiden und ggf. zu begrenzen.

Häufig nehmen Menschen, die mit Berührung arbeiten, auf der energetischen Ebene viel von den Belastungen ihrer Klienten auf.

Zu viel Belastung

Dein Beruf ist geprägt davon, dass du viel vom Leid der anderen mitbekommst. Wenn die Belastung sehr hoch ist und du selbst nicht ausreichend getragen bist, besteht die Gefahr der Sekundärtraumatisierung.

Gerade in Bereichen mit extremen Stressbelastungen wie Trauma, chronischen oder lebensbedrohlichen Erkrankungen besteht die Gefahr, dass du viel davon aufnimmst und nicht ausreichend Ausgleich in deinen Kraftquellen findest.

Zu wenig Unterstützung

Du hast zu wenig Unterstützung, um mit den Belastungen der Anderen gut umzugehen. Im Arbeitsalltag fehlt der Austausch mit Team-Kolleginnen, Intervision oder Supervision. 

Meiner Meinung ist dies nicht nur in der Psychotherapie wichtig, sondern generell in allen Berufen im medizinischen und psychosozialen Bereich. Leider sieht die Realität oft anders aus.

Eigene unverarbeitete Themen

Was andere Menschen in die Sitzung mitbringen, kann mit deinen eigenen unverarbeiteten Themen in Wechselwirkung gehen. 

Alles, was du selbst (noch) nicht verarbeitet hast, kann in den Sitzungen durch die Klienten reaktiviert (getriggert) werden. Daher ist die Selbst-Erfahrung ein so wesentliches Element in jeder guten Therapieausbildung.

Wenn du beispielsweise ungeduldige Stimmen in dir trägst, kann das dazu führen, dass du unbewusst versuchst, den Prozess der Klienten zu beschleunigen.

Oder wenn du früh gelernt hast, anderen zu helfen, (vielleicht, weil du einen kranken Elternteil oder ein krankes Geschwister hast) fällt es dir vielleicht schwer, selbst Unterstützung anzunehmen. Auf die Dauer entsteht so ein Ungleichgewicht, das dich Kraft kostet. 

Was passiert, wenn deine Selbstfürsorge zu kurz kommt?

Wenn deine Krafträuber deine Kraftquellen überwiegen, besteht die Gefahr, dass du einen Burn-out erleidest.

Vielleicht bist du auch so überlastet, dass du kein Mitgefühl mehr aufbringen kannst (Compassion Fatigue), und arbeitest mit den dir anvertrauten Menschen starr und mechanisch. Dieses „Abarbeiten“ hinterlässt auch in dir ein unerfülltes Gefühl.

Die Erschöpfung wirkt sich vielleicht auch auf andere Lebensbereiche aus. Sie kann deine Beziehungen und dein gesamtes Lebensgefühl beeinträchtigen.

Was kannst du tun?

Wichtig ist es, deine Ressourcen zu stärken und ein gutes Gleichgewicht von Kraftquellen zu Krafträubern zu etablieren.

Auch wenn du nicht in allen Bereichen unmittelbar Veränderungen vornehmen kannst, ist es an manchen Stellen möglich, deine Stressfaktoren zu erkennen und dich anders dazu zu positionieren.

Dabei gibt es praktische Tipps, die du direkt umsetzen kannst, aber auch längerfristige Prozesse. Dann kann deine Selbstfürsorge auf Dauer einen guten Platz in deinem Alltag bekommen.

Die erste Zeit des Tages gehört Dir

Schenk dir selbst die erste Zeit des Tages und mache deine Selbstfürsorge zu Priorität Nummer eins.

Viele Menschen schätzen eine Morgenroutine, und ich gehöre auch dazu. Doch ich finde den Begriff nicht sehr passend. 

Routinen können allzu schnell dazu führen, dass du dir ein weiteres To-do zulegst und dich damit langweilst. Dann führst du deine morgendliche Praxis mechanisch aus. Und das ist nicht, was ich mit mußevoller Me-Time meine.

Es geht ja nicht um Selbstoptimierung, sondern um Zeit für Muße und Genuss. Mach es dir schön und beschäftige dich mit etwas, das dir Freude bereitet und dein Herz wärmt.

Dabei kommt es nicht so sehr darauf an, dass deine Mußezeit besonders lang ist. Viel wichtiger ist es , dass du gut bei dir bist. Und Regelmäßigkeit hilft deinem Körper und Nervensystem, einen Rhythmus für deine Self-Care zu finden.

Es ist aber nicht so wichtig, dass du immer dasselbe tust. Schaffe dir einen Pool von Möglichkeiten, aus denen du wählen kannst. Vielleicht ist das mal Yoga oder Meditation, mal eine Tasse Tee beim Sonnenaufgang und mal ein spannendes Buch oder eine Fußmassage.

Das ist deine Zeit, die du liebevoll mit dir selbst verbringst. Erst wenn du dir selbst etwas Gutes getan hast, wendest du dich anderen Menschen zu.

Übergänge gestalten

Übergänge gut zu gestalten, sorgt für einen guten Rahmen deines Wirkens – und für innere Klarheit.

Hast du Zeit, dich auf deine Arbeit einzustellen? Kannst du dich zwischen zwei Sitzungen gut umstimmen? Oder bist du noch randvoll von der vorherigen Sitzung, wenn du die nächste Person begrüßt? Insbesondere für Menschen, die hands-on, also mit Berührung arbeiten, ist dieser Punkt extrem wichtig.

Wie kommst du aus der Arbeit heraus? Hast du ein gutes Ritual, aus der Helfer- oder Therapeutenrolle herauszufinden und deine Fürsorge wieder dir selbst zuzuwenden? Oder nimmst du die Patienten / Klientinnen gedanklich oder energetisch mit in den Feierabend?

Überlege dir ein Ritual, wie du aus dem Arbeitsmodus gut in den Feierabend kommst. Vielleicht gehst du ein Stück, vielleicht wechselst du die Kleidung. Oder was passt für dich?

Verbinde dich mit Gleichgesinnten

Es ist hilfreich und heilsam, sich in der Arbeit mit belasteten Menschen Unterstützung zu holen. Und zwar regelmäßig. 

In der Psychotherapie ist das ja gängige Praxis. Doch auch wenn du mit Berührung arbeitest, kannst du von einer regelmäßigen Intervision, Supervision oder einem Tandem (gegenseitigem Austausch von Sitzungen) profitieren.

Physician, heal thyself

Heile deine eigenen Verletzungen. Dann kannst du auch in deiner Arbeit besser mit deinen wunden Punkten umgehen. Häufig kommt dieses Thema viel zu kurz.

Die archetypische Reise des verwundeten Heilers beschreibt, dass wir am besten dort wirken können, wo wir selbst schon Schritte der Heilung gegangen sind. Dann haben wir eine eigene, verkörperte Erfahrung dazu, die es uns leichter macht, einen guten Raum für die Heilung unserer Klientinnen zu halten.

Dort, wo wir unsere eigenen Erlebnisse noch nicht verarbeitet haben, können wir uns nicht gut abgrenzen. Oft sehen wir die Klienten durch den Filter unserer eigenen Projektionen. Dann können wir ihnen keinen Raum geben, sich selbst zu begegnen und aus ihren Verletzungen heraus zu heilen. Und es kostet Kraft.

Ein wahrhaftiger Raum für Begegnung kann aber entstehen, wenn wir als Behandler uns unserer eigenen Themen bewusst sind und sie zu uns nehmen.

Wenn du gut versorgt bist

Wenn wir uns unserer eigenen Themen bewusst sind, können wir uns besser abgrenzen. Oft führt das dazu, dass wir uns nicht mehr alles anhören und einen Raum schaffen können, in dem das Reden dem Fühlen dient. Dann wird es leichter – für dich und deine Klienten.

Mit besseren Grenzen gewinnst du auch einen klareren Blick und ein gutes Gespür für dein Verhältnis von Arbeitspensum und eigenem Kräftehaushalt. Du lernst, dir selbst mit Mitgefühl zu begegnen.

Wenn du lernst, Unterstützung anzunehmen, kannst du Stück für Stück ein gesundes Gleichgewicht von Geben und Nehmen etablieren. Damit gelingt es dir, besser in deiner Kraft zu bleiben, anstatt dich chronisch zu verausgaben.

Wie Unterstützung gelingt

Nur um es nochmals klar auszudrücken: Bessere Selbstfürsorge in Heilberufen nimmt die Auswirkung der oft schwierigen Rahmenbedingungen im klinischen Setting nicht weg. Diese zu wandeln, ist eine andere, notwendige Aufgabe.

Aber die Zuwendung zu sich selbst bringt die Menschen wieder in ihre Kraft, die sich zur Aufgabe gemacht haben, andere in ihrer Heilung zu unterstützen. Und das ist mir ein Herzensanliegen.

Seit 2005 arbeite ich in eigener Praxis und habe über 13 Jahre als Therapeutin in einer Klinik gearbeitet. In beiden Kontexten habe ich vielfältige Erfahrungen zu diesem Thema gemacht. Deren Essenz fließt in mein Coaching ein.

Wenn du neugierig geworden bist und dir Unterstützung auf deinem Weg in eine gute Selbstfürsorge wünschst, schau dir gerne mein Angebot zum traumasensiblem Online-Coaching an.

Bildnachweis
Frau hält Teetasse –

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