Burn-out und Burn-on sind in unserer komplexen Welt häufig zu beobachten. Doch was führt dazu, dass viele Menschen zunehmend am Rand der Erschöpfung sind – oder jenseits davon? Wie kann es gelingen, aus chronischem Stress wieder herauszukommen und zu regenerieren? Mehr dazu erfährst du in diesem Artikel.
Burn-out und Burn-on – was ist was?
Die beiden Begriffe klingen sehr ähnlich, und sie bauen aufeinander auf. Burn-on ist ein Zustand von chronischem Stress, ein Leben immer am Rand der Erschöpfung. Im Burn-out ist das Gleichgewicht dann gekippt, und die Kraftreserven verbraucht.
Burn-on – dauernd unter Strom
Du willst gerade ausruhen und durchatmen, da fällt dir plötzlich die nächste Aufgabe ein? Und du legst sofort wieder los. Doch wenn dann endlich Zeit zum Entspannen da ist, kommst du nicht zur Ruhe? Du fühlst dich innerlich getrieben, obwohl du eigentlich keine Kraft mehr hast und weißt, dass es Zeit zum Ausruhen ist? So fühlt sich häufig chronischer Stress an.
Der Burn-on ist ein Zustand von chronischem Stress, der mit Hochfunktionalität einhergeht. Was das ist und was dazu führt, kannst du in einem anderen Blogbeitrag lesen.
Menschen in diesem Zustand fühlen sich innerlich getrieben und leben ihr Leben immer kurz vor der Erschöpfung. Sobald sie minimal aufgetankt haben, geht es gleich weiter. Doch Tiefenentspannung ist so nicht möglich.
Über die Zeit lassen dann die Kräfte immer mehr nach. Es wird immer anstrengender, auch kleinere Aufgaben zu erledigen, bis die Dauergeschäftigkeit in einen Burn-out münden kann. Der Burn-on ist also der Vorläufer des Burn-out.
Burn-out – wenn nichts mehr geht
Bei Menschen, die im Burn-out sind, ist das ohnehin wackelige Gleichgewicht dann gekippt, und die Erschöpfung überwiegt. Weil aber das Nervensystem damit nicht reguliert ist, bestehen die Symptome von chronischem Stress weiter.
Bezeichnenderweise gibt es in den diagnostischen Manualen der Schulmedizin keine klare und umfassende Diagnose für den Burn-out. Im ICD 11 wird er sogar ausschließlich als Folge von chronischem Stress am Arbeitsplatz genannt. Doch auch z. B. durch die Pflege von Angehörigen oder Mehrfachbelastungen können Menschen ausbrennen.
Aus der Nervensystem-Perspektive betrachtet, markiert der Burn-out das Not-aus, wenn alles andere nicht mehr funktioniert und weiterer Stress zur kompletten Systemüberlastung führen würde.
Der Burn-out ist also kein persönliches Versagen, sondern ein klares Signal deines Körpers, dass ein Richtungswechsel ganz dringend ansteht.
Bore-out – Stress durch Unterforderung
Doch nicht nur Überforderung führt zu chronischem Stress. Auch Menschen, die tendenziell wenig zu tun haben oder unterfordert sind, können betroffen sein. Denn das Gefühl von Sinnentleerung im Leben oder Mangel an (innerer und äußerer) Verbundenheit können ebenso zu chronischem Stress führen.
Besonders heikel ist es dort, wo zu viel Input auf zu wenig Essenz trifft, also wo wir viele Reize verarbeiten müssen, ohne innerlich davon genährt zu werden.
Chronischer Stress durch Unterforderung hat also die gleichen Folgen wie Stress durch Überforderung. Er bringt das Nervensystem aus dem Gleichgewicht.
Akuter oder chronischer Stress
Wenn das Ungleichgewicht nur kurzzeitig besteht, kann das eher stärkend sein. Mit jeder Aufgabe, die wir meistern können, lernt unser Nervensystem, und unser Selbstvertrauen und unsere Fähigkeiten werden gestärkt.
Dabei ist es allerdings wichtig, dass wir nach dem Stress auch wieder in Ruhe kommen. Denn nur in Ruhe können wir regenerieren, das Erlebte integrieren und wieder Kraft schöpfen.
Ein gesundes Nervensystem ist also nicht dauerhaft leistungsfähig, sondern vor allem schwingungsfähig. Es besteht dann ein Gleichgewicht zwischen Handeln und Ruhe.
Bei chronischem Stress bleibt das Nervensystem im Aktionsmodus „hängen“. Die Phasen der Regeneration kommen zu kurz. Es besteht also ein Missverhältnis von Krafträubern und Kraftquellen.
Unser Körper ist allerdings nicht auf Dauerstress ausgelegt. Die Stresshormone im Körper treiben aber den Aktionismus immer wieder aufs Neue an und erschaffen einen Teufelskreis. Bis der Körper irgendwann nicht mehr kann – und aufgibt. Oft ist es erst der Zusammenbruch, der den Menschen dann gleichsam zur Ruhe zwingt.
Weil das Nervensystem bei chronischem Stress genauso auf Dauer-An gestellt ist wie bei frühem oder wiederkehrenden Trauma, können sich ähnliche Symptome zeigen. Häufig sind es auch Menschen mit frühen Verletzungen, die in der Dauergeschäftigkeit ihren Alltag einrichten – einfach, weil es ihrer vegetativen Gewohnheit entspricht und sie nie den Zustand tiefer Ruhe und Sicherheit erfahren haben.
Ursachen von chronischem Stress
Chronischer Stress entsteht dann, wenn längerfristig die Anforderungen das Kräfteniveau übersteigen. Dabei können die Anforderungen von außen kommen, aber auch aus eigenen Überzeugungen entstehen. Zusätzlich kann auch die Möglichkeit zur Regeneration beeinträchtigt sein. Weil Stress unsere Überlebensreaktionen aktiviert, fühlt sich chronischer Stress oft an wie müssen, nicht wie Muße.
Äußere Anforderungen
Berufstätige Menschen verbringen einen Großteil der Zeit auf der Arbeit. Situationen, die hier Kraft kosten, sind Überbelastung, aber auch Sinnentleerung von Tätigkeiten. Zusätzlich tragen auch Mobbing oder Bossing (Mobbing durch Vorgesetzte) zum Stress am Arbeitsplatz bei und können sehr belastend sein. In manchen Berufen besteht außerdem die Gefahr der Sekundärtraumatisierung, weil man hier viel vom Leid der anderen mitbekommt.
Doch auch Belastungen im privaten Bereich können chronischen Stress auslösen.
Mehrfachbelastungen wie z.B. alleinerziehende Eltern, die Pflege von Angehörigen parallel zur Berufstätigkeit oder auch konfliktreiche Beziehungen können arg an den Kräften zehren.
Da Frauen immer noch einen großen Anteil der Care-Arbeit machen, gleichzeitig aber auch häufig berufstätig sind, haben sie öfter mit Mehrfachbelastungen zu tun.
Auch die übermäßige Nutzung von digitalen Medien (vor allem Social Media mit schnellen und fragmentierten Inhalten) begünstigt chronischen Stress durch das Ungleichgewicht von viel Input, aber wenig Essenz.
Eigener Anspruch
Doch nicht nur äußere Anforderungen können kräftezehrend sein. Auch unsere eigene Haltung kann uns auslaugen.
Wer sehr leistungs- und wettbewerbsorientiert ist, einen hohen Anspruch an sich selbst hat und zum Perfektionismus neigt, gibt sich nicht leicht mit Lösungen zufrieden und verbraucht damit übermäßig Kraft.
Oft liegt diesen Haltungen ein geringes Selbstwertgefühl zugrunde, das damit kompensiert wird.
Mangel an Selbstfürsorge
Hier möchte ich Bewegungsmangel und Fehlernährung an die erste Stelle setzen. Denn beides verursacht Stress im Körper. Den Zellen fehlen Mikronährstoffe, um Energie zu generieren. Und auch Mangel an Bewegung verringert den Zellstoffwechsel. Zusätzlich bauen sich weniger Stresshormone ab.
Wer zu wenig Ruhephasen erlebt, kann nicht regenerieren. Auch wenn wir uns einsam fühlen, weil wir zu wenig nährende Kontakte haben, ist das ein großer Stressfaktor.
Sinnentleerung und ein Mangel an Selbstausdruck, ob in Hobbys oder beruflich, können ebenfalls an der Substanz zehren.
Anerkennung für Hochleistung
In unserer Kultur ist hohe Leistung als Wert fest verankert. Schneller, höher, weiter, mehr – das ist das Hintergrundgeräusch unserer Gesellschaft. Manchmal ist es schwierig, sich davon gut abzugrenzen.
Denn wer dauergeschäftig lebt, bekommt viel Anerkennung dafür. „Ich leiste, also bin ich“ ist immer noch ein weit verbreitetes Credo. Und leisten muss nicht berufliche Arbeit heißen. Auch in der Erziehung oder Pflege kann der Aspekt der Leistung überwertig werden.
Weil es so allgegenwärtig ist, am Limit der eigenen Kräfte zu leben, nehmen wir oft nicht wahr, wie es uns oder unseren Mitmenschen wirklich geht. Doch normal ist nicht unbedingt gesund.
Burn-on – Anzeichen für Betrieb unter Dauerlast
Menschen im Zustand der Dauergeschäftigkeit sind mit ihrer Aufmerksamkeit überwiegend im Außen. Für die Selbstfürsorge fehlt dann oft die Zeit oder Kraft.
Im Englischen gibt es den Begriff des Busyholic, der auch das Gefühl innerer Getriebenheit beinhaltet. Oft wird er mit Vielbeschäftigung übersetzt. Meiner Meinung nach greift diese Übersetzung zu kurz, weil sie, oft mit Stolz vorgetragen, die Notfallstrategie zur Tugend erhebt – mit fatalen Folgen für die individuelle und kollektive Gesundheit.
Wer sich sehr darüber definiert, möglichst leistungsfähig zu sein, wird es schwerer haben, die eigene Belastungsgrenze wahr- und ernst zu nehmen.
Wenn wir uns im Hamsterrad befinden, sind wir oft nicht mit den eigenen Bedürfnissen in Kontakt. Daher können wir uns nicht gut versorgen und regenerieren. Dann nutzen wir häufig Kompensationsstrategien, um zumindest kurzfristig herunterzukommen.
Häufig sind dies suchtartige Verhaltensweisen wie Heißhungerattacken, Digitalsucht, Shoppen oder exzessiver Sport. Doch auch über Alkohol oder andere Substanzen verschaffen sich viele Menschen zumindest eine kurzfristige Erleichterung.
Wer sich nicht spürt, greift häufig zu Plänen. Auch Tracking-Tools stehen hoch im Kurs. Doch wenn der Körper ohnehin nicht in der Kraft ist, können die starren Vorgaben der Tools am tatsächlichen Bedarf vorbeigehen. Durch Selbstkontrolle statt Selbstwahrnehmung wird dann die Erschöpfung weiter vorangetrieben.
Weil der Körper nicht für Dauerbelastung ohne Regeneration ausgelegt ist, zeigt er die Belastung auch durch vielfältige psychosomatische Symptome. Herz-/Kreislaufbelastungen, Schwindel, Magen-/Darm-Probleme und andere Erscheinungen können körperliche Warnsignale sein, dass das heikle Gleichgewicht zu kippen droht.
Burn-out – wenn Kompensation nicht mehr hilft
Wenn das Nervensystem ohnehin schon am Limit ist, braucht es oft nur eine kleine Unregelmäßigkeit, damit das fragile Gleichgewicht kippt. Das kann sich dann so anfühlen: „Vorher lief doch alles und war in Ordnung, warum passiert mir das jetzt auf einmal?“
Wer zuvor die eigene andauernde Belastung nicht gespürt hat, weil sie gut kompensiert war, kann sehr überrascht sein, wenn sich – scheinbar plötzlich – tiefe Erschöpfung Bahn bricht.
Weil die zur Fähigkeit Regulation fehlt, erleben Menschen im Burn-out gleichzeitig eine Unfähigkeit, sich zu entspannen. Sobald der Aktionsmodus aufhört, wird der Stress im Körper deutlich spürbar.
Oft führt das dazu, dass die betroffenen Menschen tagsüber müde sind, nachts aber nicht schlafen können. Um mit den geringen Kräften möglichst gut zu haushalten – und manchmal auch aus Scham, ziehen sie sich von ihren Mitmenschen zurück. Die Stimmung leidet darunter, oft sind sie schnell reizbar und morgens in schlechter Stimmung.
Die psychosomatischen Symptome können sich verstärken oder jetzt erst zeigen.
Was hilft, aus dem Hamsterrad auszusteigen?
Das wichtigste ist, zunächst einmal innezuhalten und eine klare Bestandsaufnahme zu machen. Wo verliere ich Kraft? Was gibt mir Kraft? Welche inneren Glaubenssätze treiben mich zu welchen Verhaltensweisen an?
Außerdem gilt es, wieder ein ausgewogenes Verhältnis von Krafträubern und Kraftquellen zu etablieren.
Wenn ein Mensch in der Dauergeschäftigkeit festhängt, ist es wichtig, Ruhephasen zu etablieren, wo möglich. Dann kann das Nervensystem wieder schwingungsfähig werden.
Wenn du wieder mit dir selbst in Kontakt kommst, spürst du, was du brauchst und kannst mit zunehmender Selbstwahrnehmung die Selbstontrolle durch Tracking, Pläne etc. aufgeben.
Dazu gehört auch eine ausgewogene Ernährung und moderate Bewegung – evenutell auch die Gabe von Mikronährstoffen, damit die Zellen wieder Energie generieren können.
Zeit und Geduld sind ebenfalls wichtige Zutaten im Heilungsprozess. Gewohnheiten, die sich über Jahre und Jahrzehnte etabliert haben, können sich nicht in Tagen oder Wochen dauerhaft verändern. Hier dürfen wir auch milde mit uns selbst sein.
Denn auch wenn der Verstand schnell begreifen mag, was wichtig ist – der Körper braucht Zeit, sich umzustimmen. Ohne diese Umstimmung im Nervensystem ist keine nachhaltige Veränderung möglich, und die alten Gewohnheiten schleichen sich bald wieder ein. (Mehr dazu in meinen Blogartikeln über Stress, Trauma und den Körper und Stress, Trauma und Gedächtnis.)
Vielleicht wird es aber über die Zeit möglich, dein Nervensystem von „müssen“ in Richtung Muße einzuladen – und Muße nicht mit Müßiggang gleichzusetzen.
Durch mehr Gegenwärtigkeit lernst du, aus dem Autopiloten auszusteigen, um in stressigen Situationen mehr Handlungsoptionen zu haben.
Neue Wege beschreiten
Wenn du deinen inneren Ruheplatz findest, wird dir besser klar, was du brauchst – und was nicht. Mit einer gut verkörperten Resilienz entwickelst du eine Widerstandskraft gegen innere und äußere Anforderungen.
Statt jeder Bitte von außen und jeder inneren Bewegung Folge zu leisten, kannst du dich besser zurücklehnen und auch nein sagen, wenn es für dich nicht passt. Das schont letztlich deine Kräfte, die dann frei werden für das, was dir wirklich Freude bereitet und dich nährt.
So kannst du Schritt für Schritt in ein gesundes Selbstgefühl kommen. Dann bist du auch mit dir zufrieden, wenn es gerade nichts zu tun gibt und kannst deine Mußezeit genießen.
Ein gesundes Selbstgefühl zu entwickeln, ist ein Kernstück meiner Arbeit. Vielleicht hast du hier einige Erkenntnisse gewonnen, die dich darin unterstützen können. Wenn du Interesse daran hast, dich von mir eine Weile begleiten zu lassen, schau dir gerne mein Angebot zur traumasensiblen Prozessbegleitung an oder buche ein kostenloses telefonisches Erstgespräch.
Bildnachweis
Seilbruch –