Sowohl die äußeren Räume als auch die inneren Räume entscheiden darüber, wie wir uns fühlen. Architektur und Therapie haben dabei einiges gemeinsam.
Was ich in der Architektur über das Verhältnis von Raum und Form gelernt habe, begegnete mir später in der Therapie wieder. Über meinen Weg dorthin berichte ich hier.
Eine wohlige Hülle schaffen – Kleidung als zweite Haut
Meine eigene Geschichte hat mich früh dazu gebracht, mein Leben zu gestalten. Als Mensch mit Überlänge hatte ich schon bald das Gefühl, mir sei „das Fell zu klein“.
Ich fühlte mich unbehaglich mit den ewig zu kurzen Ärmeln, Hosen und Röcken, an denen ich ständig herumzupfte. Aber ich mochte ich mich nicht mit unbequemer Kleidung umhüllen. Ich wollte es wohlig haben in meiner zweiten Haut und mich sicher umhüllt fühlen. So, dass das Außen zum Innen passt.
Daher habe ich mit 12 Jahren zu nähen angefangen. Anstatt mich mit vorgefertigten Notlösungen abzufinden, habe ich meine zweite Haut gestaltet – und es genossen. So sehr, dass ich einige Jahre später fast meine gesamte Garderobe selbst geschneidert habe.
Kreativität als Kraftquelle
Meine frühen Lebensjahre waren nicht leicht und von einigen Widrigkeiten überschattet. Mein Gestaltungswille war schon damals sehr ausgeprägt. Dies hat sicher auch damit zu tun, dass ich so etwas tun konnte, um mich wohler zu fühlen.
In dem Gestalten meiner Kleidung und meiner Räume fand ich Ruhe – und konnte gleichzeitig etwas Schönes erschaffen und mich daran erfreuen.
Außerdem war ich immer wieder neugierig und wollte dazulernen. Ich experimentierte mit vielfältigsten Formen und Materialien, wie sich verschiedene Hüllen anfühlten. War die Kleidung zu starr oder zu eng, gab es zu wenig Bewegungsfreiheit. War sie zu weit oder zu luftig, gab es zu wenig Schutz.
Räume der Kraft schaffen – Architektur als dritte Haut
Das Spiel von Material und dem Raum, den ich damit schaffen konnte, faszinierte mich sehr. Aber ich wollte nicht unbedingt Modedesign studieren. So kam ich letztendlich zur Architektur – eine Hülle weiter nach außen also.
Auch hier lernte ich viel über das Zusammenspiel verschiedener Materialien und über ein gutes Verhältnis von Raum und Form. Hier fand ich einiges wieder, was mir bereits bei der Kleidung aufgefallen war.
In geschlossenen Räumen fühlen wir uns eher heimelig und sicher. Aber sie bieten mit ihrem hohen Maß an Form und Substanz relativ wenig Flexibilität, Bewegungsfreiheit und Beziehung mit der Außenwelt – und dem Empfinden von Weite. Wenn sie zu eng oder zu voll sind, wirken sie starr und einengend.
In offenen Räumen hingegen wird die Aufmerksamkeit nach außen gelenkt. Wir erleben Bewegungsfreiheit und Flexibilität, dafür aber weniger Schutz. Wenn Räume zu offen sind, bleiben wir in der Außenorientierung und kommen daher nicht zur Ruhe.
Dreißig Speichen treffen die Nabe.
Die Leere dazwischen macht das Rad.
Lehm formt der Töpfer zu Gefäßen.
Die Leere darinnen macht das Gefäß.
Fenster und Türen bricht man in Mauern.
Die Leere damitten macht die Behausung.Das Sichtbare bildet die Form eines Werkes.
Laotse – Dao De Jing
Das Nicht-Sichtbare macht seinen Wert aus.
Gleichgewicht zwischen Schutz und Neugier
Wenn wir eine Umgebung, eine Hülle als angenehm empfinden, erleben wir gutes Gleichgewicht zwischen Raum und Form, zwischen Schutz und Bewegung, zwischen Ausdehnung und Begrenzung.
Dabei ist es sehr individuell, was wir als eng oder weit empfinden. Wände aus Stein oder Beton wirken dabei viel solider und bieten mehr Schutz als luftige Fensterfronten, die den Blick nach außen lenken. Die Komfortzone bewegt sich dabei irgendwo zwischen massiv und transparent.
Wenn Du das nächste Mal ein Restaurant betrittst, schau doch mal, welche Tische zuerst besetzt sind. Meist sind es die, wo Du an einer Wand sitzen kannst. Vorausgesetzt, sie sind nicht zu dunkel. Die Tische mitten im Raum bleiben oft länger leer, weil sie ungeschützter sind. Welchen Tisch würdest Du wählen?
Unsere Umgebung beeinflusst unser Empfinden von Sicherheit
Wenn der Raum, der uns umgibt, unseren momentanen Bedürfnissen entspricht, fühlen wir uns wohl und können entspannen. Wollen wir aktiv werden, wirken Licht und Platz dafür sehr einladend. Wollen wir zur Ruhe kommen, bieten abgedunkelte und kleinere Räume den passenden Rahmen.
Passt die Umgebung gar nicht zu dem, was wir gerade brauchen, entsteht Spannung im Körper. Wir beginnen, uns selbst zu halten, weil wir den Halt im Außen nicht finden. Wenn wir beispielsweise Ruhe brauchen, aber die Konzertkarte schon gekauft ist, kann es gut sein, dass wir vor lauter Spannung Kopfschmerzen bekommen.
In welchen Räumen fühlst Du Dich wohl und sicher? Sind es eher weite Wälder oder kleine Kemenaten? Magst Du es lieber hell oder dämmerig, um zur Ruhe zu kommen?
Signale des Körpers
Schon seit Beginn meines Studiums hatten Yoga und Meditation, aber auch Therapie und Selbsterfahrung einen festen Platz in meinem Alltag. So begann ich, meine inneren Räume zu erforschen. Ich wurde mir zunehmend meines Körpers bewusst und begann, mehr auf seine Signale zu achten.
Ich bekam eine Ahnung davon, wie unterschiedlich meine Stimmung war, wenn mein Körper weit und entspannt war– oder eng und verspannt. Was bei wochenlanger Arbeit am Reißbrett und später am Computer häufig war.
In dieser Zeit befand ich mich in einer massiven Lebenskrise. Und es war mir klar, dass ich grundlegend etwas in meinem Leben verändern musste, wenn ich wieder hinausfinden wollte.
Letztlich war es ein Hilfeschrei meines Körpers, der mich dann dazu brachte, die Architektur zu verlassen und mich der Therapie zuzuwenden. So kam ich zum ersten Mal mit der craniosakralen Körpertherapie in Kontakt.
Nach Hause kommen – Wohlfühlen in der ersten Haut
Mein Körper atmete erleichtert auf und weitete sich, kam scheinbar wie von selbst aus der Starre. Es ging mir sofort besser. Ich war fasziniert davon, wie Heilung sich ereignen kann, wenn ich in mir lande und wahrnehme, was ist – und dadurch Raum, Ruhe und Regulation entstehen.
Weil mir diese Erfahrung so kostbar war, wurde ich neugierig. Ich wollte ich sie nicht nur selbst erleben, sondern auch weitergeben. Also begann ich, die Kunst der heilsamen Berührung zu lernen und andere Menschen zu behandeln. Später kamen dann traumaspezifische, bindungsorientierte und systemische Modalitäten hinzu, und meine Arbeit entwickelte sich weiter zu dem, was sie heute ist.
Das Verhältnis von Raum und Form im Körper
In der Begleitung meiner Klienten beobachte ich immer wieder, dass es sich mit ihren Körpern ähnlich verhält wie mit den Räumen. Das Verhältnis von Spannung und Entspannung, von Substanz zu Raum, bestimmt das innere Empfinden.
Wenn sie sich entspannen, entstehen Weite und Ruhe. Entspannung weitet die Körperstrukturen, entspricht also dem Fenster im Raum, das Kontakt nach außen ermöglicht. Und damit auch ein Gefühl der Verbundenheit.
Zu viel Entspannung hingegen bewirkt eine Zerstreuung, einen Mangel an Fokus bis hin zur Dissoziation. Keine Spannung heißt: keine Grenze, kein Fokus, kein Zugriff auf die Kraft.
Spannung geht mit Fokus und gerichteter Kraft einher. Spannung verdichtet die Körperstrukturen, entspricht also einer soliden Wand. Sie schützt uns, kann aber auch ein Gefühl der Trennung hervorrufen.
Übermäßige Spannung aber engt aber nicht nur die körperliche Flexibilität ein, sondern auch die Gedanken – bis hin zur Rigidität. Zu viel Spannung bedeutet: übermäßige Abgrenzung, Isolation, wenig Beweglichkeit, enger Fokus.
Ein ausgewogenes Verhältnis beider Qualitäten geht mit einem wach-entspannten Zustand einher. So wie ein Raum mit genug Wänden, die uns schützen und genug Fenstern, die hinaus zur Welt weisen.
In diesem inneren Raum sind wir mit uns in Verbindung.
Wir können uns fokussieren, ohne uns zu fixieren. Und wir können uns entspannen, ohne zu zerfließen.
„Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegt unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“
Viktor Frankl
Eine Reise der Verkörperung
Wenn ich mir rückblickend meinen beruflichen Weg anschaue, sieht er aus wie eine lange Reise der Verkörperung. Im Laufe der Zeit habe ich mich immer besser in mir selbst beheimatet. Spannungen abgelegt, Präsenz gewonnen, Frieden in mir gefunden.
Diese verkörperte Präsenz kann ich Dir als Gegenüber anbieten, wenn Du den Wunsch hast, mehr in Dir selbst anzukommen und Deinen inneren Raum zu bewohnen. Schau Dir dazu gerne meine Angebote zu körperorientierter Psychotherapie, Traumatherapie und traumasensibler Prozessbegleitung an.
Bildnachweis
Japanischer Raum – Paolo