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Emotionen verkörpern, also Lebendigkeit im Körper zu spüren, ist ein wesentlicher Schlüssel für Veränderung und die Heilung seelischer Verletzungen. Wenn du fühlen kannst, was in dir lebendig ist, ohne deinen Emotionen ausgeliefert zu sein oder sie wegzudrücken, setzt das einiges an Kraft frei, die du dann anders in deinem Leben entfalten kannst als bisher.

In diesem Artikel beschreibe ich die Zusammenhänge von Körper und Psyche im Hinblick auf unsere Fähigkeit, mit Emotionen gut umzugehen. Du erfährst auch, wie es möglich ist, über den Körper deine innere Kapazität für Emotionen zu erweitern.

Emotionen verkörpern – warum ist das wichtig?

Ob wir Emotionen fühlen können, ohne sie abzuwehren oder überflutet zu werden, hat viel mit dem Körper zu tun. Denn Emotionen werden an unseren Körperzuständen innerlich abgelesen. Es besteht eine Zusammenarbeit von Körper und Gehirn, die ich weiter unten genauer erklären werde. 

Doch zunächst möchte ich beschreiben, welche Rolle Emotionen in verschiedenen Heilungswegen haben.

Emotionen in der Psychotherapie

Fast immer ist es ein Leid oder unerträgliches Gefühl, das Menschen in die Therapie bringt. Die Methoden in psychotherapeutischen Verfahren sind sehr unterschiedlich. Dennoch zielen sie meist darauf ab, eine Linderung der Befindlichkeit zu erreichen und einen anderen Umgang mit Emotionen zu finden. 

Emotionen sind also ein zentrales Element in der Therapie.

Dabei gibt es einige Verfahren, in denen die Klienten lernen, ihre Gefühlswelt und die inneren und äußeren Zusammenhänge besser zu verstehen. Viele der kassenfinanzierten Richtlinienverfahren gehören hierher.

In anderen Methoden, besonders denen der frühen Körperpsychotherapie (Reich, Lowen etc.), geht es vor allem darum, Emotionen auszudrücken, um sich davon zu befreien. Diese Verfahren werden kathartische Verfahren genannt. Warum diese Methoden oft nicht für Menschen mit frühem Trauma geeignet sind, erkläre ich später.

In einigen, vorwiegend jüngeren Therapieverfahren, lernen die Klienten, Emotionen immer mehr zu spüren, ohne davon überflutet zu werden. Hier geht es um Integration von Emotionen und Neubewertung von Empfindungen. Dazu ist der Körper sehr wichtig, doch ebenso das Nervensystem.

Emotionen in alten Heilverfahren und spirituellen Traditionen

Auch in den alten Traditionen geht es häufig um einen besseren Zugang zu Emotionen und ihre Integration. 

Viele schamanische Wege arbeiten mit der Rückholung von Seelenanteilen (ins Bewusstsein). Oft waren diese „verlorenen“ Anteile von unerträglichen Emotionen belastet und wurden daher aus dem bewussten Erleben abgespalten. Was also zuvor nicht zugänglich war, wird durch die innere Reise in sicherem Rahmen spürbar und kann danach integriert werden.

Auch in vielen spirituellen Wegen wird Gelassenheit gegenüber der Welt und der eigenen inneren Bewegung gelehrt. Mit anderen Worten: es wird das Stresstoleranzfenster erweitert.

Andere Ansätze bewegen sich überwiegend in der geistigen Welt und betrachten den Körper lediglich als Vehikel für den Geist. Leider kann dieser Weg für manche Menschen dazu führen, dass sie ihre Emotionen noch weiter abspalten, anstatt sie zu integrieren. Zum Thema Spiritualität und Embodiment schreibe ich später noch einen eigenen Artikel.

Doch was genau sind eigentlich Emotionen?

Was sind Emotionen?

In vielen psychotherapeutischen Richtungen gelten Emotionen als psychische Phänomene. Doch letztlich wirken Gehirn und Körper gemeinsam und beeinflussen sich gegenseitig.

In der Psychosomatik galt lange die Erkenntnis, dass der Körper der Spiegel der Seele ist. Doch wirkt der Körper noch stärker auf die Psyche ein als umgekehrt.

Unsere körperliche Befindlichkeit kann sich massiv auf die Stimmung auswirken. Jeder Mensch, der einmal starke Schmerzen gehabt hat, kennt dieses Phänomen.

Antonio Damasio zufolge entstehen Emotionen im Körper und Gehirn als physiologische Prozesse, die auf der Zellebene (also biochemisch) beginnen. Im Grunde genommen sind Emotionen also interpretierte Muster von Körperempfindungen. Der Ursprung der Emotionen liegt also im Leib.

Wie bilden wir Emotionen?

Wir alle kennen den Begriff des Bauchgefühls. Doch was hat es damit auf sich? 

Die Bildung von Emotionen beginnt mit den Empfindungen im Körper. Also ganz grundsätzlich damit, wo wir uns warm oder kalt, weit oder eng, straff oder schlaff fühlen.

Die Muster der verschiedenen Körperempfindungen werden im Nervensystem interpretiert. Sie werden mit vergangenen ähnlichen Erfahrungen abgeglichen und bewertet. Dann wissen wir, wie wir die Situation einschätzen können und welche Handlungsoptionen wir haben. 

Vielleicht spüren wir eine Ausdehnung im Oberkörper und fühlen uns wohl. Dann schauen wir optimistisch auf das, was vor uns liegt. Oder der Oberkörper ist zusammengesackt, und wir trauen uns an diesem Tag wenig zu und sind niedergeschlagen.

Ein Beispiel für das Embodiment von Emotionen ist diese Übung. Nimm dir einen Bleistift und lege ihn quer zwischen deine Zähne. Was passiert mit deiner Stimmung?

Jede Emotion hat eine andere Energieverteilung im Körper. Manche Emotionen gehen mit einem hohen Energieniveau einher, andere mit einem niedrigen. 

Je nachdem, wie gut unsere Fähigkeit zur Selbstregulation ist, interpretieren wir z. B. ein hohes Energielevel als freudige Aufregung (Nervenkitzel) oder als Angst

Wozu dienen Emotionen?

Der Begriff bringt es schon auf den Punkt: Emotion bedeutet, etwas in Bewegung zu bringen. 

Emotionen helfen uns in der Einschätzung von Situationen und geben uns Handlungsoptionen. Sie drücken aus, wie gut wir unsere Bedürfnisse gerade erfüllt sehen.

Wut beispielsweise setzt Energie frei, mit der wir uns behaupten. Furcht mahnt uns zur Vorsicht, Freude zeigt, dass unsere Bedürfnisse erfüllt sind.

Manchmal fühlen sich Emotionen wie eine innere Gewissheit an. Ob dies tatsächlich immer eine tagesaktuelle Einschätzung ist, sehen wir noch.

Welche Emotionen gibt es?

Es gibt sehr unterschiedliche Modelle zur Einordnung von Emotionen.

Paul Ekman benannte sieben Basisemotionen, die ihm zufolge in jedem Kulturkreis auftauchen und allgemein wiedererkannt werden: Ärger, Furcht, Ekel, Verachtung, Trauer, Überraschung und Freude. Martin Dornes fügte als achte noch die Scham hinzu, wobei sie meines Erachtens eine Sonderrolle spielt.

Jede dieser Emotionen ist mit einer Handlungsoption und einem Bedürfnis verbunden.

Es gibt weitere ausführliche Modelle mit sekundären Emotionen, die sich aus den Grundemotionen zusammensetzen. Manche dieser Emotionen werden nur in bestimmten kulturellen oder zeitgeschichtlichen Zusammenhängen erlernt. Die Liste der Emotionen kann daher immer weiter verlängert werden.

Sind Emotionen angeboren oder erlernt?

Als Babys haben wir ein eher überschaubares Repertoire von Ausdrucksmöglichkeiten. Wir spüren, ob unsere Bedürfnisse erfüllt sind oder nicht – und reagieren darauf – mit Lächeln, Unruhe oder Geschrei …

Diese Äußerungen werden dann von unseren Eltern interpretiert, und wir lernen: wenn ich mich so fühle, heißt das freudig oder traurig, ängstlich oder wütend. 

Wir gleichen also unsere inneren Empfindungen und Handlungsimpulse mit den Etikettierungen der Eltern oder unseres Kulturkreises ab. 

Die verschiedenen Emotionen werden je nach Familie oder Herkunft unterschiedlich bewertet. Emotionen sind also nicht per se gut oder schlecht, sondern werden erst durch die soziale Bewertung so empfunden.

Wenn z. B. Menschen in Deutschland trauern, ist das oft ein eher leiser Prozess, der mit Rückzug einhergeht. In Cuba versammeln sich die Frauen und klagen lautstark die ganze Nacht hindurch. 

„Männliche“ und „weibliche“ Emotionen?

Es gibt auch Untersuchungen darüber, dass Eltern die Gefühle ihrer Kinder häufig nach deren Geschlecht interpretieren. In unserem Kulturkreis wird den Mädchen häufiger gesagt, sie seien traurig. Bei den Jungen wird öfter Wut benannt.

Die Folgen liegen auf der Hand: Frauen haben häufiger Schwierigkeiten, Wut zu spüren. Männern fällt es schwerer, zu erkennen, dass sie traurig sind. 

Dies ist aber nicht angeboren, sondern durch die Interpretation der Eltern und des sozialen Umfeldes erlernt.

Genährt wird diese Prägung durch gesellschaftlich überlieferte Erzählungen wie „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“, „Jungen weinen nicht“ oder „Wenn du weiter so wild bist, findest du später nie einen Mann“.

Kulturelle Unterschiede

Außerdem gibt es große kulturelle Unterschiede in der Bedeutung von Emotionen. 

Begeisterung beispielsweise kann sich für einen afrikanischen Fußballfan ganz anders anfühlen als für eine französische Chansonsängerin. Beide verwenden dasselbe Wort, fühlen jedoch unterschiedlich.

Ebenso gibt es in jeder Kultur bevorzugte Emotionen. Momentan stehen bei uns Glück, Authentizität und Freiheit hoch im Kurs. Daher streben viele Menschen danach, sich so zu fühlen. Manchmal um den Preis dessen, was sie tatsächlich fühlen.

Wenn Emotionen unerwünscht sind

Durch die Wertvorstellungen unserer Bezugspersonen und gesellschaftliche Konventionen wird also bestimmt, welche Emotionen erwünscht sind und welche nicht. 

Schnell lernen wir, uns dementsprechend zu verhalten. Die unerwünschten Emotionen werden unterdrückt und bleiben im Körper gehalten. Das kann zu vielfältigen körperlichen und psychischen Symptomen führen.

Eine mögliche Folge ist, dass wir bestimmte Situationen und Verhaltensweisen vermeiden, damit die unliebsamen Emotionen nicht in uns wachgerufen werden. Wir beginnen, eine Rolle zu spielen. 

Über die Zeit und die Kraft der Gewohnheit verlieren wir dabei die Verbindung mit uns selbst. Das kann ein Gefühl tiefer Entfremdung und Einsamkeit zur Folge haben.

Wie zeigen sich Emotionen?

Wir erkennen Emotionen am Gesichtsausdruck, der Körperhaltung, der Bewegung und der Stimme. Also an der Körpersprache.

Wenn es möglich ist, Emotionen vorbehaltlos auszudrücken, sind sie nur für ca. 90 Sekunden im Körper spürbar. Sie verändern sich also permanent. Die Energie im Körper ist in Bewegung. Die Emotion ist klar im Gesicht und Körper zu lesen. 

Dennoch kann sie vom Gegenüber anders interpretiert werden, wenn es eine andere „Emotionskultur“ hat. Die unterschiedlichen Körpersprachen von Hund und Katze sind hier sprichwörtlich.

Wenn wir eine unerwünschte Emotion vermeiden, wird sie in Körper und Mimik „gehalten“. Dann wird sie überlagert durch einen anderen Ausdruck – oder Ausdruckslosigkeit. Nur für winzige Augenblicke zeigt sie sich eventuell dem aufmerksamen Beobachter.

Es kann also sein, dass Menschen, die (abgespaltene) Angst haben, gar nicht ängstlich aussehen, sondern lächeln und freundlich wirken. Nur für den Bruchteil einer Sekunde weiten sich dann die Augen. 

Das bekommt das Gegenüber aber oft nicht mit und registriert nur die – vermeintliche – Freundlichkeit. Vielleicht spürt es auch vage, dass etwas nicht übereinstimmt, kann es aber nicht erklären.

Wenn emotionaler Ausdruck fehlt

Der größte Teil unserer Kommunikation (ca. 85 %) ist also körpersprachlich. Er findet über das – meist unbewusste – Ausdrücken und Ablesen von Mimik, Haltung und Stimme statt.

Wenn Eltern wenig oder keinen emotionalen Ausdruck zeigen, kann das dazu führen, dass sich das Kind nicht gespiegelt fühlt. In der Folge lernt es nicht, seine eigenen Emotionen zu erkennen – und sieht sie später auch nicht in anderen. Diese Gefühlsblindheit nennt man Alexithymie. 

Bezugspersonen mit Gefühlsblindheit sind also nicht in der Lage, ihren Kindern ein breites Spektrum von Emotionen zu vermitteln.

Behandlungen mit Botox lähmen einzelne Gesichtsmuskeln und unterbinden damit bestimmte Gesichtsausdrücke. Die Mimik wird flacher. Dies kann die Wahrnehmung der eigenen Emotionen einschränken. Und auch die der Kinder, die in ein ausdrucksarmes Gesicht schauen.

Wir erinnern uns: Es sind die Körperempfindungen, die als Emotion interpretiert werden

Emotionen erleben – Echtzeit oder Echo?

Viele Menschen erleben ihre Emotionen als Reaktion auf ein Ereignis oder eine Situation.

Dann denken sie: Weil mir das gerade passiert, fühle ich mich so. 

Doch manchmal schimmert die vage Erkenntnis durch, dass diese Gefühle der aktuellen Situation gar nicht angemessen sind. 

Emotionen können sich auch ohne aktuellen Anlass zeigen. Dennoch fühlen sie sich sehr real an. Wie kommt das zustande?

Emotionen entstehen nicht durch Interpretation von Ereignissen, sondern von Körperempfindungen. Das bedeutet, ähnliche körperliche Zustände rufen ähnliche Emotionen hervor. Die werden dann im Nervensystem mit vergangenen Erfahrungen abgeglichen und eingeschätzt. 

Wenn nun unerwünschte oder unaushaltbare Emotionen im Körper gehalten und nicht integriert sind, können diese schneller wieder wachgerufen werden. Das heißt, bei einem vergleichsweise harmlosen Ereignis reagieren wir mit der vollen Intensität wie in der ursprünglichen Situation. Was dabei im Nervensystem geschieht, kannst du in meinem Artikel über Stress, Trauma und das Gedächtnis nachlesen.

Diese emotionalen Flashbacks sind gar nicht so selten. Bei Menschen mit Entwicklungstrauma treten sie sogar sehr häufig auf. Der Begriff stammt aus der Arbeit von Pete Walker.

Sie sind der „Autopilot“, der immer wieder Gefühle von Hilflosigkeit sich selbst gegenüber auslöst und es schwer macht, anders zu handeln. Denn bei starken Emotionen fehlt oft der innere Beobachter als regulierende Instanz.

Und weil wir uns schon immer so gefühlt haben, sind wir zudem mit unserer Standardreaktion identifiziert. Dann heißt es: Ich bin halt so, was die emotionale Reaktion noch verstärkt.

Unser Gehirn projiziert also die Vergangenheit in die Zukunft und leitet daraus die bestmögliche Handlungsoption ab. Das bedeutet: Die Emotion erleben wir real im Körper, aber sie ist dem heutigen Anlass oft nicht angemessen.

Wie sehen die Welt durch die Brille unserer Emotionen

Wir neigen außerdem dazu, Umweltreize unterschiedlich zu interpretieren, je nachdem, wie wir uns fühlen. 

Wenn wir voller Freude sind, haben wir einen wohlwollenden Blick in die Welt. Haben wir Angst, wittern wir eher Gefahr und nehmen unsere Mitmenschen als unfreundlich oder gar bedrohlich wahr. Auch nehmen wir Dinge dann eher persönlich.

Das heißt, es ist wichtig, zu wissen, durch welche emotionale Brille du gerade in die Welt schaust, um eine Situation möglichst tagesaktuell beurteilen zu können.

Welche Brille trägst du, wenn du starke Gefühle hast?

Das bedeutet keinesfalls, dass du dein Gefühl nicht ernst nehmen solltest. Schließlich tauchen Emotionen nicht ohne Grund auf und haben eine Botschaft für dich. 

Auf bestimmten Ebenen in deiner Innenwelt ergeben sie mit Sicherheit Sinn. Sie wollen bemerkt und gewürdigt werden. Aber sie haben nicht unbedingt eine Verbindung zur Außenwelt.

Ausschließlich auf das eigene Gefühl zu vertrauen, kann auch dazu führen, dass alte Emotionen ungefiltert und in ihrer vollen Wucht ausgedrückt werden. Oft wirkt das in Beziehungen belastend oder gar destruktiv. Besonders wenn wir unser Gegenüber für unsere Emotionen verantwortlich machen, weil wir ja vermeintlich auf eine Situation reagieren und nicht auf unser Bauchgefühl.

Den oft ersehnten authentischen Ausdruck sehe ich vor diesem Hintergrund kritisch. Wahrhaftigkeit braucht in meinen Augen noch eine weitere Komponente – den inneren Beobachter als regulierende Kraft.

Daher ist es hilfreich, eine Realitätsprüfung zu machen und zu forschen, ob es sich um ein altes oder um ein aktuelles Gefühl handelt. Also ob die Emotion tatsächlich mit der Situation zusammenhängt oder nicht. Das kann deinen Handlungsspielraum beträchtlich erweitern.

Wie gelingt es, aus starken Emotionen auszusteigen?

Damit du nicht von deinen Emotionen übernommen wirst, braucht es einen Moment des Innehaltens – die wohlbekannte Pause zwischen Reiz und Reaktion. Dann kannst du dein Empfinden neu bewerten, indem du die aktuellen Informationen einbeziehst.

Das ist allerdings nur möglich, wenn es dir gelingt, nicht komplett in die Emotion hineinzugehen, sondern am Rand des emotionalen Strudels zu bleiben. Dann kannst sie im Körper spüren und halten, ohne sie zu unterdrücken oder auszuagieren.

In diesem Moment kannst du auch spüren, ob die Emotion der momentanen Situation entspricht oder ob es ein altes Gefühl ist. 

Wenn du nicht komplett von der Emotion erfüllt bist, hast du auch die Wahl, anders zu handeln als bisher und neue Strategien auszuprobieren. So kannst du aus dem Autopilotenmodus aussteigen.

Für viele Menschen ist das kein leichtes Unterfangen, da ihr hochreaktives Körpergedächtnis neue Erfahrungen erschwert und immer wieder in die gleichen Erlebensschleifen führt. Das ist für sie selbst und ihre Mitmenschen oft anstrengend. 

Dennoch ist es wichtig für den Heilungsprozess, ein Mindestmaß an innerer Stabilität und Präsenz zu entwickeln und den inneren Impulsen weniger ausgeliefert zu sein.

Der Körper als Gefäß für die Emotion

Der Körper ist nicht nur der Ort unserer (oft unbewussten) Erinnerungen. Er ist auch der Ort der Heilung.

Damit es möglich wird, mit der emotionalen Ladung präsent zu bleiben, brauchen wir den Körper. Denn dort ist die Energie gespeichert. Wenn wir unser inneres Empfinden immer mehr im Körper ausdehnen und wahrnehmen, kann die eingefrorene Ladung wieder in Fluss kommen.

Dabei geht es keineswegs um Ausagieren der Emotion, sondern um achtsames Spüren und Bezeugen der eigenen Innenwelt.

Dosiert fühlen als Heilungsweg

Dabei ist es wichtig, sehr dosiert und in kleinen Schritten vorzugehen, um am Rand unseres Stresstoleranzfensters zu bleiben. Zu viel emotionale Ladung kann überwältigen, zu wenig bringt keine Erweiterung der Kapazität. Wachstum geschieht am Rand der Komfortzone, nicht mittendrin, aber auch nicht außerhalb davon.

Je mehr es gelingt, die Empfindungen im Körper wirklich achtsam zu erleben und je mehr Ladung wir dabei tolerieren können, desto besser kann die Emotion als Teil des Ganzen integriert werden. 

Diese Fähigkeit nennen wir Containment. Je mehr wir davon entwickelt haben, desto besser können wir mit unseren Emotionen umgehen. Unser Stresstoleranzfenster vergrößert sich nach und nach.

Was ist emotionale Kapazität?

Wenn Menschen ein ausreichendes Containment entwickelt haben, können sie den Fluss der Emotionen im eigenen Körper erlauben. Das nennt man auch Affekttoleranz

Das Gleichgewicht von Emotionen und Containment kannst du dir vorstellen wie Wasser in einem Flussbett. 

Ist das Flussbett zu eng, erleben wir unsere Emotionen entweder gar nicht oder als körperliche Symptome. Dieser Zustand ist eher mit Ablenkung und Dissoziation vergleichbar.

Gibt es kein Flussbett, ergießt sich die Energie überallhin und kann nicht gehalten werden. Hier sind die emotionalen Flashbacks und das Erleben von emotionaler Überflutung angesiedelt.

In einem ausreichend weiten Flussbett kann das Wasser ungehindert und dennoch im sicheren Rahmen fließen. Es verfestigt sich nicht in Verspannungen, zerfließt aber auch nicht ins Uferlose.

Integration von Emotionen

Mit zunehmender Fähigkeit, unsere Emotionen Stück für Stück wahrzunehmen, machen wir auch die Erfahrung, dass es heute sicher ist, sie zu spüren. Achtsamkeit, Bewegung und Selbstberührung helfen dabei.

Containment ist also eine wichtige Komponente der Selbstregulation. Wir lauschen im Hier und Jetzt dem Körper, während er die Geschichte von Dort und Damals erzählt.

Damit kann die frühere Erfahrung der Überwältigung im Nervensystem integriert und abgeschlossen werden. Die alte Verletzung wird nicht dauernd wieder aktiviert und kann heilen.

Mit der Erfahrung, dass es heute sicher ist, Emotionen zu fühlen, entwickeln wir auch mehr Vertrauen in unsere eigenen Kräfte.

Emotionen auszudrücken ist nicht immer heilsam

In vielen körpertherapeutischen Methoden, in denen Emotionen ausgedrückt werden (Katharsis), wird mit einer relativ hohen emotionalen Ladung gearbeitet. Dies kann für die Menschen befreiend sein, welche über ein ausreichend großes Stresstoleranzfenster verfügen.

Doch Menschen mit frühen Traumafolgen haben oft diese Kapazität nicht und müssen es erst entwickeln. Wenn das Containment fehlt, kann der Umgang mit starken Emotionen schnell überfluten oder in die Dissoziation führen. Dann besteht die Gefahr einer Retraumatisierung.

Wenn Emotionen besser verkörpert werden können

Wenn es gelingt, besser mit den eigenen Emotionen präsent zu bleiben, kann sich das auf vielerlei Art positiv auswirken.

Du erlebst mehr Verbundenheit mit dir selbst. Das bedeutet auch, dass du dich lebendiger fühlst und dich authentischer zeigen kannst. Hier meine ich die Echtzeit-Emotionen, nicht das Echo der Vergangenheit.

Du lernst, alte von aktuellen Gefühlen zu unterscheiden. Wenn du die alten Gefühle weniger ausagierst, kannst du in Konflikten oft weniger verletzt oder verletzend handeln. Das wirkt sich positiv auf deine Beziehungen aus.

Wenn sich mehr Facetten in dir zeigen dürfen und du damit präsent bist, entwickelst du mehr Toleranz für die Vielfalt in dir – und auch in anderen Menschen.

Mehr emotionale Kapazität bedeutet auch weniger inneren Stress. Das wirkt sich positiv auf die Qualität deiner Gedanken aus. Und damit auf deinen (Entdecker-)Geist und deine Kreativität.

Die Fähigkeit, Gegensätzlichkeit auch in unangenehmen Erfahrungen zuzulassen, ist in vielen spirituellen Richtungen ein wesentlicher Bestandteil. Deine spirituelle Entwicklung bekommt durch den gelasseneren Umgang mit Emotionen eine solide Basis verkörperter Erfahrung und damit Bodenhaftung.

Fazit

Emotionen sind nichts Absolutes, das in uns festgeschrieben ist, sondern werden durch soziale – und später unsere eigene – Interpretation geschaffen. Damit können sie sich aber auch verändern.

Wenn wir unseren Emotionen nicht mehr ausgeliefert sind und der aktuellen Situation gemäß handeln können, eröffnen wir uns neue Erfahrungen, die uns eine bessere Lebensqualität ermöglichen können.

Wie du siehst, kann es dich in vielen Lebensbereichen weiterbringen, wenn du lernst, deine Emotionen zu verkörpern. In meiner Arbeit nimmt die Entwicklung dieser Fähigkeit einen großen Raum ein. Schau dir gerne meine Angebote dazu an. Wenn du von mir eine Weile begleitet werden möchtest, vereinbare ein kostenloses telefonisches Erstgespräch.

Lesetipp:

Raja Selvam: Verkörperte Gefühle (The Art of Embodying Emotions)

Bildnachweis
Frau lächelnd und wütend –

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